Samstag, 18. Mai 2019

Das ganz besondere Gebet


Ende April war ich am alljährlichen Weiterbildungskurs der Schweizer Kapuzinerinnen. In den vier Tagen waren wir mit dem Thema: „Liturgie und Leben sind EINS“ unterwegs. Zu Beginn der Kursarbeit wurden wir aufgefordert, uns über folgende Frage Gedanken zu machen: „Was für ein Gottesdienst hat mich ganz besonders berührt?“

Ich machte mir sehr gerne Gedanken darüber, denn mir fiel so einiges, schönes ein und ich schwelgte einen Moment lang in angenehmen Erinnerungen.

Dann fiel mir noch etwas ein. Es war kein Gottesdienst und es war keine schöne Situation, aber doch tief berührend. Ich möchte euch davon erzählen. Eine persönliche Geschichte aus meinem Leben, aus dem Leben meiner Familie…



Es war der 18. Mai 2006, als es morgens um 4.30 Uhr an der Tür klingelte. Ein Polizist war da, der uns die Nachricht überbringen musste, dass mein Bruder schwer verunfallt ist. „Es sieht nicht gut aus“, hat er gesagt. Das Bein amputiert, die Hand zertrümmert und schwere Kopfverletzungen. Die Prognosen für ihn waren düster und die Überlebenschancen 50 zu 50…wenn überhaupt.

Das war ein harter Schlag für die ganze Familie. Meine Eltern fuhren am Morgen zu ihm in die Klinik und meine anderen beiden Geschwister und ich blieben zu Hause.

Am Mittag waren wir bei einer Tante und ihrer Familie zum Essen. Im Hintergrund lief das Radio, wo mehrmals vom verunfallten 22-jährigen berichtet wurde.

Am Küchentisch haben wir abgemacht, dass wir uns um 18.30 Uhr in der Lourdes Grotte treffen, zum gemeinsamen Rosenkranzgebet für unseren Bruder.



Und nun zu diesem besonderen Gebet, das mich auch heute, nach 13 Jahren noch ganz tief berührt und bewegt wenn ich daran denke.

Als meine beiden Geschwister und ich, um 18.30 Uhr in die Grotte kamen, war sie übervoll mit Leuten aus dem Dorf. Alle waren da, weil sie von diesem Unfall gehört haben. Alle waren da um für unseren Bruder zu beten. Wir waren sechs Personen am Küchentisch und ich konnte es kaum glauben, wie schnell sich das herumgesprochen hat und wie gross die Anteilnahme war. Es brannten viele viele Kerzen, es war ein Lichtermeer.

Die Situation war traurig und ungewiss. Aber wir wurden als Familie getragen von der Gemeinschaft eines ganzen Dorfes.



Ja, das ist der berührendste Gottesdienst, das berührendste Gebet, das ich erlebt habe. Liturgie und Leben sind EINS, das habe ich selten so intensiv erfahren.



Noch heute, wird in dieser Lourdes Grotte täglich den Rosenkranz gebet, seit diesem 18. Mai vor 13 Jahren. Es wird gebetet für aktuelle Anliegen der Welt oder des privaten Umkreises.

Und ich bin von Herzen dankbar, dass mein Bruder es geschafft hat. Dass er trotz seiner körperlichen Einschränkung ein selbständiges Leben führen kann.



Das Gebet vermag nicht alle Wunden zu heilen. Aber es trägt in guten, wie auch in schweren Zeiten. Das ist meine Erfahrung.



Ich wünsche euch einen guten Sonntag!



Sr. Lea

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